Südamerikaner sind keine Rasse!

Confed Cup 2009, Halbfinale: Vor dem Anpfiff liest jeder der beiden Spielführer eine Erklärung gegen Rassismus in seiner Sprache vor. Schönes Bild!

Zehntausende im Stadion und Millionen vor Fernsehbildschirmen hören die Botschaft, die ja schließlich nicht von Hinz oder Kunz vorgebracht wird. Ja, so etwas muß doch wirken! Da dürfte es doch schon bald gar keinen Rassismus mehr geben! Und von hier muß doch im jetzigen Augenblick ein Signal ausgehen, das die Aufmerksamkeit der Menschheit auf alle Verfolgten und Ausgegrenzten in dieser Welt lenken wird.

In meinen Augenwinkeln und der Nase beginnt es verdächtig zu jucken. Fast bin ich schon am Schniefen, doch ein „deja vu“ rettet mich vor diesem Anfall von Rührseligkeit.

Vor fast genau drei Jahren, in der märchenhaftesten Zeit der BRD, war es gewesen, da die Welt allhier zugast bei Freunden war, und als die vom DFB den Vorleistungen nach als Bauern ins Rasenschach geschickten jungen Leute zwar keine Könige wurden, wie im richtigen Märchen, aber als sie am Ende alle einen Orden dritter Klasse umgehängt bekamen, wurden sie vom Volk bejubelt wie richtige Könige, ja, wie Götter!

Und die Kanzlerin, die mitjubelte, daß ein beladener Heuwagen das Gehege ihrer Zähne hätte passieren können, nutzte den Ruck der Brüderlichkeit, der durchs Land ging, und nahm gleichzeitig alle, die „brüderlich mit Herz und Hand“ mitgesungen hatten, beim Wort, und die Nichtsänger in Sippenhaft: Alle sollten ab nun ganz brüderlich höhere Steuern und Gesundheitskosten zahlen. Hätte die damalige Kanzlerin der Herzen dies unter Schwenken eines schwarz-rot-„geilen“ Paniers verkündet, damals wäre wohl auch das ausgiebig bejubelt worden.

In diese Jubelzeit hatte mich mein „deja vu“ zurückgeführt, zum Spiel Deutschland gegen Argentinien. Denn da hatten der deutsche Kapitän, Michael Ballack, und sein argentinischer Kollege, Juan Pablo Sorin, ganz einträchtig eben dieselben Erklärungen verlesen.

Nach dem Spiel, das die Argentinier –wie bekannt- durch Elfmeterschießen verloren, wurde man ganz gegen die Gepflogenheiten der Fairnis handgemein, es gab Händeleien zwischen den Spielern der beiden Nationen und fast wäre ein richtiger Raufhandel entstanden.

Schuld waren natürlich die Argentinier, was wohl aus Vornehmheit nie genau begründet wurde.

Gefragt, warum sich diese Profis von hohem internationalem Wert so aufführten, konnte der Fußballspezialist des übertragenden Senders unkorregiert von sich geben: „Das sind Südamerikaner, die können nicht verlieren!“ Damit war ein halber Kontinent in eine Schublade geschoben, aber die deutsche Welt wieder in Ordnung. Ich kam ins Grübeln.

Es waren doch in diesem Turnier schon andere südamerikanische Mannschaften ausgeschieden, ohne daß gehändelt worden wäre. Und waren die stolzen Argentinier nicht ein Jahr zuvor beim Confed Cup in Deutschland von den Brasilianern regelrecht vorgeführt worden? Und sie hatten das hingenommen, wie es Sportsleuten ziemt. War heute etwas anders gewesen?

Nun, Grund zum Ärgern hätten sie schon gehabt, die Argentinier. Zu Beginn des Spiels bemühten sich die deutschen Märchenhelden sehr, den Gegnern klarzumachen, daß sie hier sehr auf ihre teuren Knochen achten müßten. Held Lukas, auch Prinz Poldi genannt, hatte sogar schon gelb gesehen und trat trotzdem nochmals einem Gegner ans Bein, nachdem dieser den Ball schon weggespielt hatte. Traun, eine seltsame Art, jemandem zu zeigen, daß er hier zu Gast bei Freunden ist! Jeder andere Spieler in diesem Turnier, der so verfahren war, hatte gelb-rot gesehen, aber hier hatte der Schiedsrichter gerade seine pädagogische Minute, sonst hätten es die Argentinier schon sehr früh nur noch mit zehn Deutschen zu tun gehabt. Ja, und dann in der zweiten Halbzeit, beim Stande von 1:0 für die Gäste aus Südamerika, war es Held Klose, der dem argentinischen Torwart das Knie in die Rippen rammte, daß dieser nicht weiterspielen konnte. Welcher Art die zugefügten Verletzungen waren, habe ich nie erfahren und fürchte, daß auch der spätere Märchenfilm hierüber keine Aufklärung gab, wiewohl man doch Zeit zur Recherche gehabt hätte. Daß diese rotreife Aktion vom Schiedsrichtergespann übersehen wurde, und dann der eingewechselte Ersatztorwart beim Ausgleichstor und beim Elfmeterschießen nicht gut aussah, war bestimmt ein weiterer Grund zum Ärgern. Schon während des Elfmeterschießens hätten die argentinischen Spieler die deutschen in übelster Weise beschimpft, hieß es in den Nachkommentaren. Wer verstand hier wohl so gut Spanisch?

Als dann im Fernsehen auch noch „Weine doch nicht, Argentina!“ gesungen wurde, platzte mir der Kragen. Ob man denn hier, in diesem unsrem Lande, nicht mit Anstand gewinnen könne, fragte ich sehr laut.

Keiner der Thekengenossen regte sich auf, und der Wirt erklärte mir lächelnd, daß es bei allen Nationen üblich sei, sich zu freuen, und das müßten wir Deutsche uns nun endlich auch selbst zugestehen.

Ich versuchte nachzulegen: Vor dem Spiel Erklärungen gegen Rassismus, und dann die Bemerkung dieses Kommentators aus der Tiefe des Raumes gegen Südamerikaner, das sei doch der Gipfel der Verlogenheit.

Erstaunen und Heiterkeit. Daß Südamerikaner doch keine Rasse seien, wurde mir mehrfach erklärt, ohne Ärger, in dem gelassenen, freundlichen Ton, den sich wahre Sieger leisten können.

Ja, klar, ich lag daneben. In Südamerika sind alle Hautfarben vertreten, weswegen Südamerikaner ja gar keine einheitliche Rasse sein können. Schon recht, aber es ärgerte mich immer noch, daß sie hier einfach alle in einen Topf gesteckt worden waren.

Rassismus, was ist das überhaupt? Mit keinem Sinn erfaßbar, man kann ihn auch nicht verprügeln, also nur ein Begriff. Vieles, von dem wir nur die Wirkung sehen, fassen wir in Begriffe. Der Sportgeist, als solcher nicht greifbar, bewirkt aber, daß im sportlichen Gegeneinander der Gegner als Mensch geachtet und die Regeln eingehalten werden, ebenso der Kameradschaftsgeist, der dafür sorgt, daß es in sportlichen, wirtschaftlichen und militärischen Zweckgemeinschaften keine Außenseiter gibt, oder gar der heilige Geist, der alle im Namen Christi Getauften zu christlichem Handeln beseelt. Und der Rassismus ist dort wirksam, wo Menschen wegen der Zugehörigkeit zu ihrer Rasse ausgegrenzt, beleidigt, geschädigt, ausgebeutet oder gar getötet werden. Wenn man also des Rassismuses schon nicht habhaft werden kann, dann wenigstens der Rassisten!

Und da sind die Kampagnen doch wirksam. Man stelle sich vor, auf einem deutschen Fußballplatz wird ein Spieler schmerzhaft von hinten umgetreten. Er sieht sich um und stellt fest, daß der Täter ein Afrikaner ist. Man kann sich denken, was ihm nun auf der Zunge liegt. Ich mag es nicht hinschreiben. Aber wenn Schmerz und Wut noch ein Fünkchen berechnenden Verstandes übriggelassen haben, wird er das nicht sagen! Denn damit würde er sich entschieden zum Buhmann machen.

Beschimpfungen auf dem Fußballplatz, was fällt mir da aus meinen Spielerzeiten ein? Nun: Lange Sau, dürre Sau, fette Sau, Glatzenmonster, dreckiger Schnurres, Schnurreswichser, Weinknüppel, Waldteufel, Sauschwabe, u.s.w. Die meisten davon würden wohl auch heute noch höchstens eine Ermahnung des Schiedsrichters einbringen. Schließlich sind sie ja nicht rassistisch.

Auffällig aber, daß die ersten drei mit „Sau“ verbunden sind und die letzten drei sich auf Regionen beziehen. Ein anderer Begriff für „beschimpfen“ ist „zur Sau machen“. Wer einmal die Sau ist, der ist zum Abschlachten freigegeben. Wer aus einer anderen Region kommt, ist von außerhalb zumindest empfundener Grenzen, wird also durch den Hinweis darauf „ausgegrenzt“ gleichzeitig herabgesetzt und entwürdigt. Das Aufzeigen eines nicht allgemeinen Merkmals hat dieselbe Wirkung, nämlich zu zeigen: Du bist anders, du gehörst nicht dazu, und du hast hier keine Rechte.

Wir Menschen sind schon durch unser Aufwachsen als schutzbedürftige Kinder auf Gruppenzugehörigkeit programmiert. Diesen Zugehörigkeitsdrang wollen wir aber an uns selbst nicht wahrnehmen, weil wir uns doch so gerne als selbständige, unabhängige Menschen sehen. Aber der normale Mensch sucht überall, wo er hinkommt, Rückhalt in der Gruppe. Jeder beobachte sich da mal selbst genau! Und wie beweist man Gruppenzugehörigkeit? Ja, klar, indem man die Gruppe verteidigt. Da äußere Feinde oft nicht vorhanden sind, werden innere Feinde regelrecht produziert. Man beobachte doch mal an seinem Arbeitsplatz genau die Gruppenkonstellation. Gibt es da wirklich keine Person die „anders“ ist, über die jeder, der etwas auf sich hält, etwas zu tuscheln hat, dem gegenüber immer wieder jemand seinen höheren Gruppenrang herausstellt? Zugegeben, man muß schon genau hinsehen, weil es da oft so abläuft wie in Franz Kafkas Geschichte von der Zirkusreiterin, in der das Quälen noch als Wohltat dargestellt wird, und der Zuschauer, der eigentlich helfen möchte, verwirrt wird, in einen schweren Traum versinkt und nicht merkt, daß er weint.

Zugehörigkeit kann ja auch nur sichtbar werden, wenn es auch Nichtzugehörigkeit gibt. Scheidet so ein Sündenbock aus der Gruppe aus, geht es weiter wie auf dem Bauernhof: Schlachtet die mitleidige Bäuerin das von allen Anderen gerupfte Huhn, läuft bald ein neues Gerupftes auf dem Hof herum. Nach Ansicht mancher Soziologen wandeln Gruppen in einem solchen Fall bisherige Mitglieder in Nichtmitglieder um, und das Spiel geht weiter. Wieviel Leid, wieviel Arbeitsausfall, wie viele psychosomatische Erkrankungen und wie viele Selbstmorde auf diese Weise verursacht werden, erhellt keine Statistik.

Nochmals: Das Ausgrenzen und zur Sau machen von „anderen“ Gruppenmitgliedern ist meistens in kafkaesker Weise verschleiert. Aber wer bereit ist, genau hinzusehen, wird solche Konstellationen und Abläufe erkennen können. Doch was wird er davon haben? Hat er sich eingestanden, was er wahrgenommen, also als Wahrheit angenommen hat, dann ist es mit der Seelenruhe vorbei. Der nächste Schritt wäre doch einzuschreiten. Und da weiß jeder: Wer sich an die Seite des Opfers stellt, handelt gegen den Gruppengeist und kann nun selbst mit ausgegrenzt oder gar geopfert werden. Menschen mit der inneren Bereitschaft dazu sind Minderheiten, schon von vorneherein.

Dabei sind doch so viele Menschen, wie man ja sieht, bereit, gegen den Rassismus zu kämpfen. Ganz einfach: Wer sich hierzulande entschließt, gegen Rassismus zu sein, ordnet sich damit in eine mächtige Gruppe ein, ist immer auf der Seite des Guten, und erwirbt das Recht, gegen vermeintliche oder auch echte Rassisten vorzugehen. Dabei hat er immer die Mehrheit hinter sich, also: Kein Risiko! An Orten, wo Rassismus mehrheitlich praktiziert wird, sieht das natürlich anders aus.

Zur Gruppenfähigkeit des Menschen gehört auch die Bereitschaft, kritiklos mit- und nachzumachen, was Alle tun. Auf den Tribünen der Stadien werden von Fan(atiker)-Gruppen oft grobe bis dümmliche Beleidigungen über Gegenvereine und Spieler ausgegrölt und skandiert. Wohlgemerkt im Chor! Wie würde sich wohl der einzelne Fußballinteressent verhalten, stünde er ganz alleine auf der Tribüne?

Dem Kommentator aus der Tiefe des Raumes, der einen halben Kontinent ins Abseits stellte, ist kein Rassismus vorzuwerfen, weil er niemanden wegen dessen Rassenzugehörigkeit in irgendeiner Weise angegriffen hat. Und er hat doch vielen Menschen große Freude gebracht! Denn mit dieser Aussage nach dem störenden Eklat war klar: Die Anderen sind böse, also müssen „wir“ notwendigerweise ganz und gar die Guten sein. Ja, eine solche Volksseele hatten sich doch Oberhäuptling Wortstark samt Ratsfeuerschürsquaw Gipfelziege bei der Verwendung des Wortes „Wir“ in ihren Prophezeiungen auf den Sommer 06 gewünscht.

Nachdem sich diese Prophezeiungen als weit daneben erwiesen hatten, befriedigte sich die genannte Volksseele, wohl getrieben vom deutsch- romantischen Absolutheitsanspruch, an der Worthülse „Weltmeister der Herzen“. Mich erinnert das zum einen an „Im Felde unbesiegt“, zum anderen frage ich: Welche sportliche Einstellung steckt denn hinter dieser Begriffswahl? Kurz und bündig: Wer kann denn da nicht verlieren?

Weltmeister meines Herzens wären mehr Menschen, die bereit wären, genauer dahin zu schauen, wo die Gruppen- und Herrschaftssüppchen gekocht werden.

Was aber hülfe das, wenn das in Wahrheit Genommene nicht in Handlungen umgesetzt würde? Doch wer auch nur irgendeine Bereitschaft dazu in sich fühlte, müßte dann auch bereit sein, zu leiden. Leider!