In der Nachfolge Muhammads sind Religion und Politik nicht zu trennen

Bundestagspräsident Lammert äußerte in einer Stellungnahme zu dem Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt die Meinung, Terror sei  nie religiös sondern politisch und forderte die Muslime auf, darüber zu debattieren. Wieviel Wissen über den Islam steckt hinter der Rede einer so gewichtigen Persönlichkeit?

Liest man bei profunden Kennern der Materie nach, wie zum Beispiel bei Efraim Karsh, einer international anerkannten Kapazität in Sachen der Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens und Leiter  des Mediterranean Studies Programme am King’s College der University of London, so sieht man den Herrn Lammert schnell auf dem Nachhilfebänkchen.

„Die Geburt des Islam war … unauflöslich mit der Schaffung eines Weltreichs verbunden, und sein Universalismus war von Natur aus imperialistisch. Er unterschied nicht zwischen weltlicher und religiöser Macht, beide waren in der Person Muhammads vereint, der seine Autorität unmittelbar von Gott bezog und gleichzeitig als staatliches und kirchliches Oberhaupt agierte.“

So Efraim Karsh in seinem Buch „Imperialismus im Namen Allahs“ mit dem Untertitel „Von Muhammad bis Osama bin Laden“. In deutscher Sprache erschienen 2007 bei DVA München. (S.15)

Muhammad bezeichnete sich als den letzten von Gott gesandten Propheten, der der Menschheit die endgültige Botschaft zu bringen habe. Damit wurde der Islam zur universellen Religion ohne territoriale oder nationale Grenzen. Die praktische Ausübung und Verbreitung dieser Religion übertrug der Prophet der „umma“, der Gemeinschaft der Gläubigen, und „er erfand den Begriff des jihad, des ´Einsatzes auf dem Wege Gottes´ als wichtigstes Vehikel zur Verbreitung des Islam.“ (Karsh, S. 14) Den Weltherrschaftsanspruch unterstrich er in seiner Abschiedsbotschaft an seine Anhänger: „Mir wurde aufgetragen, alle Männer so lange zu bekämpfen, bis sie sagen: Es gibt nur einen Gott.“

Am Anfang seiner Geschichte des Islam erzählt der Autor von der Gemeinschaft der Gläubigen in Medina, aus deren kleinen Überfällen auf Umwohner bald größere Raubzüge und dann Eroberungen wurden. Ein Jahrzehnt nach dem Tode des Propheten Muhammad war bereits ein Reich entstanden, das vom Iran bis Ägypten und vom Jemen bis ins nördliche Syrien reichte.

Akribisch schildert Karsh die gewaltsame Ausdehnung der Herrschaft des Islam und ihre Gründe. Reiche der Gläubigen entstehen, zerfallen und neue bilden sich. Dynastien treten ins Licht und verschwinden wieder. Die Dynamik der Eroberungen hat ihren wichtigsten Grund in dem Erlaß des Kalifen Umar (634-644), daß es den islamischen Invasionstruppen verboten sein sollte, die eroberten Gebiete zu besiedeln. So blieben Krieger Krieger, und ihre Versorgung war durch die Tributzahlungen der Unterworfenen gewährleistet. Waren die Eroberungen dann auch mehr Kolonisierung als Bemühen um Bekehrung, so wurde der Anspruch des jihad doch stets aufrecherhalten.

Einig blieben sich die Muslime dabei aber so wenig, wie sie es heute sind: „Selbst im Islam, wo Muhammad den Kampf unter Gläubigen ausdrücklich und kategorisch verbot, dauerte es nach dem Tod des Propheten gerade einmal 25 Jahre, bis das Oberhaupt der universellen islamischen Gemeinschaft, der Kalif Uthman, von politischen Rivalen ermordet wurde. Damit waren die Schleusen für ein unablässiges Gerangel innerhalb des Hauses des Islam geöffnet, das bis heute anhält und weit mehr Tote gefordert hat als die Konflikte zwischen Muslimen und Nichtmuslimen.“ (Karsh, S. 348)

Man mag sich manchmal fragen, ob wirklich immer der Islam im Vordergrund stand oder nicht zumindest da und dort persönliches oder gar dynastisches Machtstreben. Karsh belegt, daß islamische Herrscher sich des öfteren mit Glaubensfremden verbündeten, um Widersacher in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Selbst der große Saladin, heute noch Lichtgestalt der islamischen Eroberungsgeschichte, der auch Jerusalem eroberte, verbündete sich mit den ungläubigen Kreuzrittern gegen Muslime, wenn es seinen Zielen diente. An seiner Einstellung zum Islam ließ er aber keinen Zweifel: „Ich will mich dann auf das Meer begeben und sie bis auf die fernen Inseln verfolgen, bis keiner auf der Erdoberfläche übrig ist, der Gott nicht anerkennt.“ ist eine von ihm überlieferte Aussage aus dem Jahr 1189.

Als das letzte muslimische Reich, das der Osmanen, infolge des ersten Weltkrieges zerfallen und das Kalifat aufgelöst war, gelang es Eliten oder Monarchen wie König Faruk nicht, das Banner des Islam neu zu erheben.

„Die Suche nach dem Reich Gottes ging somit von den Monarchen auf politische Aktivisten und Ideologen über – oder auf Islamisten, wie man sie gemeinhin nennt, die ihren Blick auf weitaus Höheres richteten als ihre Vorgänger.“ (Karsh, S. 311)

Die von dem ägyptischen Lehrer Hasan al-Banna gegründete Gesellschaft der Muslimbrüder wurde „zur mächtigsten islamischen Bewegung auf der Welt und zu einem zentralen Akteur auf der politischen Bühne Ägyptens“.  (Karsh, S. 313)

Banna und sein Nachfolger Qutb waren sich darin einig, daß es der göttliche Auftrag der Muslime sei, die Weltherrschaft zu erkämpfen, damit dann die Menschheit unter den Gesetzen Allahs in Gleichheit und Brüderlichkeit zusammenleben werde.

(Erst erobern, um jeden Preis und mit allen Mitteln, daß es danach unter einer verordneten Lebensweise Allen wohl ergehen soll, das scheint mir so neu und so fremd nicht. Was tut man denn nicht Alles, um die Demokratie auszubreiten?)

Banna wurde ermordet Qutb hingerichtet, aber der islamische Traum, den sie neu beschworen hatten, lebte weiter.

Beim Versuch, die Macht über Ägypten zu erringen, ermordete ein Vertreter der Gruppe „Organisation des Heiligen Krieges“ am 6. Oktober 1981 den Ägyptischen Präsidenten Sadat. Der Versuch, durch die anschließende Besetzung der südägyptischen Stadt Asyut eine landesweite Revolte auszulösen, mißlang.

Die Revolte fand keinen hinreichenden Anhang unter den muslimischen ägyptischen Staatsbürgern. Das mag meiner Ansicht nach weniger an Treue gegenüber der politischen Führung gelegen haben als daran, daß mancher, der gerade dabei war, sich Wohlstand zu erarbeiten, diesen nicht gefährden wollte, oder ein anderer nicht Haus, Hof und Familie verlassen, um sich in ein kriegerisches Abenteuer zu stürzen. Muslim sein, indem man in die Moschee ging, um Allah zu ehren, und  die „5 Säulen des Islam“, tägliches Gebet, tägliches Bekenntnis zu Allah, Fasten am Ramadan, Pilgerfahrt nach Mekka und  Armenspende praktizierte, das wollte man ja, aber Krieg um jeden Preis wohl nicht. Solche bodenständigen Muslime werden von Islamisten wohl nicht geliebt, aber ich denke, sie sind in der Mehrheit.

Die Islamisten mußten einsehen, daß sie sich kurzfristig keine größere Machtbasis im nahen Osten schaffen können würden.

Daß es nicht gelang, abweichlerische, das heißt säkulare Systeme wie das ägyptische oder irakische oder syrische zu überrennen, schrieben die Islamisten dem Umstand zu, daß diese Systeme von „Juden und Kreuzrittern“ unterstützt würden. Nur deswegen könnten sich diese der Errichtung des Reiches Gottes entgegenstellen.

Diese Sichtweise machte Aiman al-Zawahiri, den Anführer der Gruppe Organisation des Heiligen Krieges, zum Erfinder des Terrorismus, wie wir ihn heute erleben.

„Die Herren in Washington und Tel Aviv benutzen die (arabischen) Regierungen, um ihre Interessen zu verteidigen, damit diese an ihrer Stelle die Muslime bekämpfen“, schrieb er. „Aber wenn die Einschläge sich ihren Wohnstätten nähern und sie erreichen, werden sie sich mit ihren Schergen streiten.  …  Deswegen müssen wir den Kampf auf den Boden des Feindes tragen um denjenigen, die den Brand bei uns entfachen, die Hände zu verbrennen.“

Den Kampf auf den Boden des Feindes zu tragen, das ging am billigsten und leichtesten durch „Märtyreroperationen“. Dazu braucht man allerdings todesmutige und sterbenswillige Menschen. Und solche scheinen die Islamisten in Mengen in ihren Reihen zu haben und immer wieder hervorbringen zu können. Auch einen Herrn Amri dürfen wir dazu zählen, wenn er denn das Attentat wirklich verübt hat.

Ab Mitte der 1980er Jahre gehörte al-Zawahiri zum Umfeld jenes Osama bin Laden, der den Berichten nach inzwischen ohne Gericht und ohne Urteil von amerikanischen Soldaten hingerichtet wurde, auf Geheiß der politischen Elite. Nun ja, Amerika hat gezeigt, daß man jeden kriegt, wenn man das denn will.

Zawahiri soll laut Augenzeugenberichten einen bestimmenden Einfluß auf  bin Laden gehabt haben.

Die Geschichte bin Ladens dürfte hinreichend bekannt sein. Interessant erscheint mir, daß er als Student Nachtclubs, Bars und Casinos liebte und reich genug war, um sich ein Leben in Luxus leisten zu können, aber dann von zwei Gelehrten bekehrt wurde und von da ab sein Leben in den Dienst des islamischen Krieges stellte. Es muß also doch Einiges an Kraft in dieser Lehre stecken, die es ja auch schafft, immer neue Märtyrer zu rekrutieren.

Als muslimischer Krieger wollte bin Laden Rache am Westen üben für die Zerschlagung des osmanisches Reiches und er sah in seinem jihad gegen die „Allianz aus Juden und Kreuzfahrern“ als Fortsetzung des Kampfes um die Weltherrschaft, wie ihn schon der Prophet Muhammad begonnen hatte. Und es ist ihm gelungen, den Krieg auf den Boden seines erklärten Feindes zu tragen. „Mir ist aufgetragen, die Menschen so lange zu bekämpfen, bis sie sagen, daß es keine Gottheit außer Gott gibt und Muhammad sein Prophet ist.“   ließ er seine Anhänger wissen, und die handeln in diesem Sinne weiter.