Erlistete Wünsche – Eine Kurzgeschichte

Hadubrand Blass schob Briefe, Kataloge und Pfeifenzubehör auf seinem Wohnzimmertisch beiseite, um Platz für das Telefon zu schaffen. Den Kaffeehumpen setze er vorsichtshalber auf dem Fensterbrett ab.

„Nein, Samantha, Kind“, raunte er dabei in den Hörer, „du störst mich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich freue mich doch immer wenn eine von euch beiden anruft.“

„Doch, ich habe ohnehin grade Zeit. Im Garten wäre vor Weihnachten noch einiges winterfertig zu machen, aber dazu ist mir das Wetter heute zu ekelig.“

„Nein, es ist nichts passiert. Da ist nur ein Katalog runtergefallen.“ Was war das da für ein silbriges Ding auf der Katalogseite? Sah aus wie eine Thermosflasche. Das wäre doch vielleicht … Den Preis mit zwei malgenommen! Noch erschwinglich, aber wäre schon was Anständiges.

„Doch, natürlich höre ich dir zu. Aber ein alter Mann kommt nicht immer so schnell mit.“

„Ja, meine Kaffeezeit, aber das spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle.“

„Nein, nein, nein, wirklich nicht. Ach weißt du, heute warte ich sowieso, bis der Italiener in der Fußgängerzone aufmacht.“

„Auf jeden Fall mal keinen deutschen Filterkaffee heute.“

„Weiß ich jetzt noch nicht. Da gibt’s:“ Und, als hole er Wort für Wort aus seinem Gedächtnis, las er das Schwarzgedruckte aus dem Katalog vor, das über dem silbrigen Ding stand: „Espresso, Cappuchino, Latte macchiato, sogar cremige Trinkschokolade.“

„Makkjato heißt das? Nicht Matschiato? So!“

„Nein, habe ich noch nicht probiert, …äh, nur so gemerkt.“

„Mit Schwesterchen nach dem Einkaufsbummel noch beim Italiener zusammensitzen? Das darf man sich doch auch leisten!“

„Wißt ihr auch nie? Ihr seid doch noch jung.“

„Alles nacheinander wäre auch ein wenig viel.“

„Klar, München ist teurer als hier.“

„Ja, habe ich gehört. Bei Dir klingelt’s, na, bis bald!“

Herr Blass legte den Hörer auf und hob den Arm mit einer Boris-Becker-Siegerfaust.

„Habe ich dich gekriegt, meine Süße? Na ja, im Krieg und in der Liebe ist Alles erlaubt. Und zur Liebe gehört nun mal auch das richtige Geschenk!“

Zu Heiligabend war der Tisch im Wohnzimmer des Herrn Blass sauber abgeräumt. Im Licht eines mehrarmigen Kerzenleuchters öffnete er andächtig das Weihnachtspaket seiner Tochter Samantha. Zuoberst lag eine hübsche Karte.

Herr Blass betrachtete lange das Bild, dann drehte er die Karte um und las:
„Lieber Papi, das Geschenk für Dich fand ich in einem Katalog für besondere Neuheiten. Glücklicher Zufall! Nun brauchst Du nicht mehr durch jedes Sauwetter zu stapfen, wenn Du mal Espresso, Cappuchino, Latte macciato oder cremige Schokolade trinken willst. Zum Ausprobieren habe ich mir gleich so ein Ding gekauft. Und Schwesterchen Manu kriegt auch eins zu Weihnachten.“